Immer grüner bauen und sanieren

immer grüner bauen

Fragt man Coen van Oostrom, warum er klimafreundlich baut, ist die Antwort einfach: “Elon Musk würde ja auch keine Benziner herstellen.” Van Oostrom ist Vorstandsvorsitzender des Projektentwicklers Edge Technologies mit Sitz in Amsterdam. Klimaschonendes Bauen wurde bei ihm Methode, nachdem er vor einigen Jahren den früheren US-Vizepräsidenten und Umweltaktivisten Al Gore traf. “Seither haben wir experimentiert.” Und immer umweltfreundlicher gebaut. Das Gebäude “Humboldthafeneins” in Berlin zum Beispiel, das 2015 als erste Büroimmobilie ein Platin-Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) erhielt. Oder die neue Zentrale der niederländischen Bank ING in Amsterdam, die mehr Energie erzeugt als verbraucht. Derzeit plant van Oostrom für die Hamburger Hafencity etwa ein Bürohaus für den Energieversorger Vattenfall, mit einem recycelbaren Rohbau aus Holzhybrid, minimalem Energieverbrauch und Photovoltaik. “Das Ziel ist Klimaneutralität, bei allen unseren Gebäuden”, sagt er.

Das Beispiel Edge – früher unter dem Namen OVG bekannt – zeigt: Grünes Bauen ist heute kein Nischengeschäft mehr. Nachhaltige Büroimmobilien finden sich an den besten Adressen und werden von renommierten Nutzern belegt – Banken, Konzerne, Tech-Unternehmen. In manchen Großstädten machen sie knapp ein Zehntel des Bürobestands aus, in Frankfurt fast 25 Prozent. Auch bei Investoren sind sie beliebt, die bei Anlegern und Aktionären gut ankommen wollen. Andreas Quint, Vorstandsvorsitzender der CA Immo AG, spricht von “Neo-Ökologie”: “Es ist eines der großen Themen der Branche.”

Auch bei Immobilienfonds spielt die Öko-Bilanz der Gebäude eine immer größere Rolle

Ein Indikator dafür sind auch die Mipim Awards, so etwas wie die Oscars der Immobilienbranche. Unter den Finalisten sind so viele nachhaltige Projekte wie nie zuvor: vom “Kreislaufhaus” auf der Zeche Zollverein in Essen über das Brüsseler Stadtquartier Tivoli Green City bis zum Wohnungs-Renovierungsprogramm der Stadt Moskau.

Hermann Horster, Head of Sustainability des Immobiliendienstleisters BNP Paribas Real Estate, spricht von einem “Sprung”, den die Branche gemacht habe. Beispiel: die Allianz, die etwa 67 Milliarden Euro in Immobilien investiert hat. Bis 2050 soll das gesamte Portfolio des Versicherers klimaneutral sein. Auch Branchenriesen wie Union Investment und Deka achten bei Zukäufen verstärkt auf Nachhaltigkeitskriterien. 2018 stieg das Transaktionsvolumen grüner Gebäude in Deutschland auf 10,1 Milliarden Euro, ein neuer Rekord. Und dennoch ist das nur ein Anfang.

Gebäude sind für mehr als ein Drittel der CO2 Emissionen verantwortlich

“Fast wöchentlich führe ich Gespräche mit Projektentwicklern, Fonds- und Assetmanagern und erkläre ihnen, wie eine Klimastrategie aussehen könnte,” sagt Horster. Alle erwarten, dass sich auf nationaler und europäischer Ebene die Anforderungen an Immobilien und immobilienbasierte Finanzprodukte verschärfen werden. Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral werden. Sie macht Gebäude für 40 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich und für 36 Prozent der CO₂-Emissionen; beide Werte müssen stark sinken. Darauf sollte sich vorbereiten, wer nicht im Aus landen will. Dabei kann sich Umweltengagement rentieren, wie van Oostrom vorrechnet. Er beziffert die Mehrkosten seiner klimasmarten Projekte auf etwa fünf Prozent. Die jedoch würden sich nach sieben bis acht Jahren amortisieren – wegen der niedrigeren Nebenkosten. Damit davon nicht nur der Mieter profitiert, sondern auch der Eigentümer, vereinbart er sogenannte Green Leases, bei denen die Einsparungen beiden Seiten zugute kommen. “Man muss auch auf der Vertragsseite innovativ sein.”

Hinzu kommt, dass Mieter oft ein Gesamtbudget haben: Sinken die Nebenkosten, erhöht sich der Spielraum bei der Erstmiete. Ohnehin akzeptieren Tech-Firmen, große Kanzleien oder Beratungsunternehmen oft einen Aufschlag, wenn Gebäude nachweislich klimafreundlich sind; einige haben interne Leitlinien, wonach sie nur in zertifizierten Immobilien mieten dürfen. “Ökologie ist rational”, findet Alexander Eggert, Vorstandsvorsitzender von Warburg-HIH. Der Hamburger Investmentmanager verwaltet 11,2 Milliarden Euro, für institutionelle Investoren wie Banken, Versicherungen und Pensionsfonds. Seit Juli 2019 wird jede Immobilie vor dem Erwerb auf Kriterien wie Energieverbrauch, Einsatz erneuerbarer Energien, Verkehrsanbindung und Materialeinsatz geprüft. “Früher haben wir das nur bei ausgewählten Produkten gemacht”, sagt Eggert. Darüber hinaus hat Warburg-HIH bei der Immobilienverwaltung 194 Gebäude auf Ökostrom umgestellt und weitere 44 auf CO₂-neutrales Gas. Laut Eggert reduziert sich der Kohlendioxid-Ausstoß dadurch jährlich um 12 400 Tonnen. Dabei wird es nicht bleiben: “Wir sehen Nachhaltigkeit als dauerhaften Prozess. Wir haben das Leitbild geändert, die Produktstrategie angepasst, eine Stabstelle eingerichtet.”

Der populärste Ausweis für Nachhaltigkeit sind bislang Zertifizierungen, wie sie – neben den angelsächsischen Vereinigungen LEED und BREEAM – die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) vergibt. Bei ihr fließen in die Bewertung, welche Auszeichnung ein Gebäude verdient, zu 22,5 Prozent ökologische Kriterien ein. Für klimaneutrale Gebäude soll es künftig einen Bonus geben. Nicht mehr die Unterschreitung der Energiesparverordnung solle das Ziel sein, “sondern die Null”, sagt Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der DGNB.

Zertifizierungen sind freiwillig und kosten Geld, erhöhen jedoch die Vermarktungschancen einer Immobilie: Pensionskassen etwa haben laut BNP Paribas zu 65 Prozent zertifizierte Gebäude im Portfolio, bei offenen Immobilienfonds sind es fast 50 Prozent. Insbesondere an Top-Standorten steigt ihr Anteil: In Frankfurt waren nach Angaben des Immobiliendienstleisters JLL zur Jahresmitte 2019 circa 22,7 Prozent aller Bürogebäude zertifiziert, in Düsseldorf 9,1, in München 8,3 Prozent. So erfreulich das ist – im Umkehrschluss zeigen die Zahlen, dass selbst in Großstädten häufig nicht umgesetzt wird, was technisch möglich wäre. Aus Sicht von Lemaitre ist die Klimabilanz der Immobilienbranche deshalb durchwachsen: “Viele machen weiter wie bisher und orientieren sich lediglich an gesetzlichen Vorgaben.”

Besonders schwierig ist der Kurswechsel bei Wohnimmobilien. Viele Bewohner könnten nicht einmal dann mehr Miete für Klimafreundlichkeit zahlen, wenn sie dazu bereit wären. “Die Frage ist sofort: Kostet uns das mehr Geld?”, sagt Pepijn Morshuis, CEO von Trei Real Estate, der Immobiliengesellschaft der Unternehmensgruppe Tengelmann, die auch in Wohnungen investiert. Morshuis sagt, dass sein Unternehmen trotzdem versuche, Klimagesichtspunkte zu berücksichtigen, etwa mit Dachbegrünungen, Wärmepumpen und dem Einsatz erneuerbarer Energien. “Man muss diese Überlegungen anstellen. Die Welt funktioniert heute so.”

Aber auch hier gibt es Vorreiter wie die Aachener Landmarken AG, die in der Hamburger Hafencity das erste Wohnhochhaus Deutschlands nach dem Kreislaufprinzip (Cradle-to-Cradle) baut. 120 Mietwohnungen, Kita, Coworking-Space und Gastronomie – möglichst alle Baumaterialien sollen recycelbar sein. Moringa nennt der Entwickler das Vorhaben, nach einem indischen Baum mit Heilwirkung. “Vieles ist Neuland, auch für uns”, räumt Sylvia Friederich ein, Mitglied der Landmarken-Geschäftsführung. Wo gibt es Produkte, die die hohen Ansprüche an Klimafreundlichkeit und Wiederverwendung erfüllen? Welche Firmen können so bauen? Friederich sagt: “Es ist ein spannender Prozess, der uns fordern wird.” 2023 soll das Gebäude stehen, Verkauf an Investoren nicht ausgeschlossen. Deren Interesse wird auch von der Wirtschaftlichkeit abhängen: Landmarken will marktübliche Mieten verlangen, der Bau wird aber teurer sein als ein konventioneller. Das geht zu Lasten der Rendite. Allerdings winkt, wie bei jeder Ausnahme-Immobilie, ein Bonus bei der Wertentwicklung. Der Marketingeffekt ist jetzt schon enorm. Friederich: “Wir werden mit Anfragen zugeschüttet.”

Neubauten sind oft nachhaltig. Die eigentliche Herausforderung ist die Renovierung alter Gebäude

Ein größeres Problem als der Neubau ist für Investoren der Bestand, dessen energetische Aufrüstung viel Geld kosten würde. Sie sind in der Zwickmühle: Einerseits wollen Anleger zunehmend ihr grünes Gewissen pflegen, andererseits soll die Fonds-Performance nicht leiden. “Es ist wie mit Elektroautos oder Biogemüse: Die Leute befürworten es und wissen, dass sie es eigentlich kaufen sollten”, heißt es im “Outlook 2020” der Immobilienberatung Cushman&Wakefield. “Aber sie wollen nicht notwendigerweise dafür bezahlen.” Helfen könnten Sonderabschreibungen. Die hat die Bundesregierung im Rahmen ihres Klimapakets auch vorgesehen – aber nur für Wohngebäude und auch dort nur für Selbstnutzer.

Derweil plant die Europäische Kommission einen “Green Deal”, um die Renovierung des Gebäudebestands deutlich zu beschleunigen. Noch ist nicht klar, was kommt: nur strengere Vorschriften oder doch auch ein milliardenschwerer Fonds der Europäischen Investitionsbank? Ein Kriterienkatalog für nachhaltige Finanzwirtschaft ist im Grundsatz ebenfalls beschlossen und wird künftig einheitliche Standards für klimafreundliche Immobilien definieren. Bei Neubauten werden die Messgrößen wohl Energieverbrauch und Treibhausgase sein; bei Renovierungen könnte es darauf ankommen, wie stark sie die Energiebilanz des Gebäudes verbessern. Das ist nicht nur der Wunsch der Politik. “Der Druck kommt unter anderem seitens der Investoren und Banken”, sagt Martina Hertwig, Partnerin bei der Beratungsfirma Baker Tilly.

Das ist ein starker Hebel. “Marktteilnehmer, die ihre Praxis nicht an die Kriterien anpassen, können ihre Produkte nicht als ‘grün’ vermarkten und werden an Wettbewerbsfähigkeit verlieren”, sagt Hertwig. Umgekehrt kann, wer heute klimafreundlich baut oder investiert, morgen Wertsteigerungen erwarten. Das zeigt sich schon jetzt bei Immobilien mit Nachhaltigkeitssiegel. Bei einer Umfrage der DGNB vom vergangenen Jahr wurde die Wertsteigerung durch Zertifizierung auf durchschnittlich sieben Prozent geschätzt.

Es gibt auch Bedenken gegen die EU-Initiativen und Widerstand. Dem steht die Einsicht entgegen, dass es in der Ära von “Fridays for Future” neue Instrumente braucht, um dem Klimawandel zu begegnen. “Viele Investoren empfinden Verantwortung und wollen einen Beitrag leisten”, glaubt Warburg-HIH-CEO Eggert. Und die Projektentwickler? “Werden sich darauf einstellen.” Van Oostrom hat gezeigt, dass es geht.

(Der Artikel erschien am 20. März 2020 in der Süddeutschen Zeitung. Autorin: Christine Mattauch)

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