Askese kann nicht der Weg zu mehr Klimaschutz sein, schreiben die Liberalen Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Lukas Köhler. Vielmehr komme es darauf an, Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoß zu entkoppeln. Klimaschutz und weltweiter Wohlstand – es geht beides. Ein Plädoyer für einen Wettbewerb der besten Ideen.
Von Lukas Köhler, Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Beide sind Mitglied im Bundesvorstand der Freien Demokratischen Partei (FDP)
Askese, Verzicht und ein radikaler Wandel der Lebensgewohnheiten – damit wird Umwelt- und Klimaschutz in Deutschland häufig in Verbindung gebracht. Durchgesetzt werden soll das häufig mit rein symbolpolitischen Maßnahmen, die ohne tatsächlichen Nutzen enorme Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen mit sich bringen.
Dabei wird die Gesellschaft anhand klarer Kriterien in Gut und Böse eingeteilt. In einer von Feindbildern geprägten Debattenlage funktioniert dieses ideologische Weltbild hervorragend. Nur eine Frage rückt bei all der Aufregung immer mehr aus dem Fokus: Retten wir so eigentlich das Klima?
Wirtschaftswachstum ist für Schwellenländer essentiell
Um die Herausforderung in ihrer gesamten Dimension zu erfassen, muss man zunächst einen Schritt beiseitetreten. Gerade in den aufstrebenden Schwellen- und Entwicklungsländern kommt die breite Bevölkerung durch wirtschaftliches Wachstum heute erstmals zu einem Ansatz von Wohlstand. Im Zuge dessen wachsen auch Zukunftschancen und Selbstbestimmung.
Doch Wirtschaftswachstum bedeutet momentan auch die Steigerung von CO2-Ausstoß und Ressourcenverbrauch. Der Ruf nach einer Wachstumsbeschränkung ist naheliegend und schnell ausgesprochen. Dennoch dürfen insbesondere wir als reiche Konsumgesellschaft uns nicht dazu aufschwingen, das Streben anderer Menschen und Nationen nach einer besseren und selbstbestimmten Zukunft beschränken zu wollen.
Auch die Menschen bei uns werden weiterhin ihren fairen Anteil an Wohlstand, Fortschritt, Chancen und Entwicklung haben wollen – zu Recht. Sie fordern beispielsweise die Möglichkeit ein, in den Urlaub fliegen zu können und sich dort von ihrem Alltag zu erholen. Sie wollen die Welt entdecken, ein gutes Stück Fleisch essen. Wenn wir also versuchen, Umwelt und Klima durch radikalen Verzicht zu retten, werden heute alltägliche Produkte künftig zu Luxusgütern. Die kann sich dann nur noch leisten, wer entsprechend gut verdient.
Perspektiven statt Umerziehung
Das kann man wollen – sozial oder gar gerecht ist das nicht. Wer über die eigene Filterblase der umweltbewegten Wohlstandsgesellschaft hinaus denkt, stellt fest, dass viele Menschen einen solchen – radikalen – Weg nicht mitgehen werden. Wollen wir in Deutschland beim Klimaschutz weltweit als Vorbild wahrgenommen werden, so müssen wir auch soziale Fragen in unser Vorgehen miteinbeziehen und Klimaschutz nicht zum Elitenprojekt machen.
Die Begrenzung des Wachstums ist also keine Option. Der Mensch kann durch Anreize in bestimmte Richtungen gedrängt, aber keinesfalls grundlegend geändert werden. Momentan wird zu oft ein Zielkonflikt zwischen Wachstum und Klimaschutz konstruiert. Auf dieser Grundlage wird sich dann an allem abgearbeitet, was nicht der eigenen Vorstellung von einem guten und moralisch einwandfreien Leben entspricht.
Das hilft uns jedoch beim komplexen Problem des Klimawandels nicht weiter. Unser Ziel muss daher sein, durch technologischen Fortschritt Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß zu entkoppeln und damit umweltfreundlich zu gestalten. In ersten Modellversuchen ist es sogar gelungen, den CO2-Ausstoß in der Stahlproduktion durch den Einsatz von Wasserstoff drastisch zu reduzieren. Und CO2, das sich nicht vermeiden lässt, kann wie ein Rohstoff genutzt oder gespeichert werden.
Klimaschutz und weltweite Wohlstandsgewinne können Hand in Hand gehen.
Damit Umwelt- und Klimaschutz also tatsächlich eine Chance haben, muss die Politik den aussichtslosen Versuch beenden, durch Umerziehung und reine Verbotspraktiken „bessere“ Menschen kreieren zu wollen. Stattdessen müssen Mut, Optimismus und Perspektiven im Mittelpunkt stehen.
Klimaschutz erfordert die Bereitschaft, aus alten Denkmustern auszubrechen. Statt Geo-Engineering zu verteufeln, müssen wir ergebnisoffen über die verschiedenen Möglichkeiten diskutieren. Genau wie Gentechnik und künstlich erzeugtes In-vitro-Fleisch kein Tabu sein dürfen, wenn es um die ökologisch verantwortungsvolle Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung geht.
Klimaschonender Fortschritt durch Wettbewerb
Außerdem gilt es, die segensreichen Wirkungen des Kapitalismus zu nutzen. Es gibt momentan ein wachsendes Interesse von Unternehmen, in CO2-Vermeidungstechnologien zu investieren. Einen wichtigen Anteil daran hat der EU-Emissionshandel. Daran nehmen derzeit die Unternehmen aus Industrie und Energiewirtschaft in Europa teil. Sie sind verpflichtet, für jede Tonne CO2-Ausstoß ein Zertifikat zu erwerben.
Die Zertifikate stehen nur in begrenzter Menge zur Verfügung, diese Anzahl wird zusätzlich jährlich verringert. Dadurch steigen die CO2-Preise im Laufe der Zeit immer weiter – und damit auch die wirtschaftlichen Anreize, in klimafreundliche Technologien zu investieren.
In der Energiewirtschaft hat das zur Folge, dass Kraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß nach und nach unrentabel werden und vom Netz gehen. Der Kohleausstieg, über den monatelang erbittert gestritten wurde, war daher auch ohne Kohlekommission längst beschlossene Sache.
Der Emissionshandel funktioniert.
Und zwar so gut, dass es dringend an der Zeit ist, ihn auf die Bereiche Verkehr, Gebäude und möglicherweise auch Landwirtschaft auszudehnen. Durch die Mengenbegrenzung werden die Klimaziele sicher erreicht.
Am besten kann der Handel mit Emissionsrechten wirken, wenn er von einer technologieoffenen Gesetzgebung begleitet wird. Eine solche Gesetzgebung sollte den Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, innovative Ideen umzusetzen. Davon sind wir derzeit leider noch weit entfernt.
Beispielsweise hat die CO2-Speicherung weltweit ein enormes Potenzial für den Klimaschutz. Doch in Deutschland ist es verboten, CO2 aus Abgasen abzuscheiden und unterirdisch zu speichern. Unsere Industrie könnte damit nicht nur die Emissionen vermeiden, die in ihrer Produktion nicht zu verhindern sind, sondern durch den Export solcher Technologien dazu beitragen, klimafreundliches Wachstum auch in anderen Teilen der Welt zu ermöglichen.
Generell muss die Politik mehr Mut haben, Entscheidungen innerhalb der erlaubten CO2-Menge in die Hände von Unternehmen und mündigen Verbrauchern zu legen. Wie es nicht geht, zeigt die ideologisch geführte Diskussion über eine umweltfreundliche Verkehrswende.
Verbot des Verbrennungsmotors ist unnötig
Zwar gibt es neben dem Elektromotor weitere Technologien, die CO2-neutralen Verkehr ermöglichen. Die Bundesregierung hat sich jedoch entschieden, vollständig E-Mobilität zu fördern, und sie hat diese Position auch in der EU durchgesetzt.
Ein Verbot des Verbrennungsmotors ist für einen funktionierenden Klima- oder Umweltschutz jedoch völlig unnötig. Denn der Motor an sich ist nicht klimaschädlich; es kommt nur darauf an, was er verbrennt. Technisch ist es ohne Weiteres möglich, Benzin und Diesel durch künstliche Alternativen zu ersetzen, die aus CO2 und erneuerbarem Strom hergestellt werden.
Als Produktionsstandorte für diese synthetischen Kraftstoffe, auch E-Fuels genannt, eignen sich beispielsweise die nordafrikanischen Länder, in denen Sonnen- und Windenergie nahezu unbegrenzt zur Verfügung stehen. Eine schrittweise Beimischung von E-Fuels zu herkömmlichen Treibstoffen würde auch unmittelbar eine Klimaschutzwirkung entfalten, während technische Regulierungen im Bereich des Motors lediglich Neuwagen betreffen.
Ob sich E-Fuels am Ende für Pkw durchsetzen, maßen wir uns nicht an zu beurteilen. Sicher ist jedoch, dass aus einem fairen Wettbewerb der besten Ideen auch die beste Lösung für einen klimaschonenden Fortschritt entsteht – und nicht aus dem Diktat der Politik.
Technik und Umwelt sind keine Gegensätze
Es gehört zur Aufklärung, zur Emanzipation des Bürgers, die Errungenschaften des technologischen Fortschritts zu nutzen. Und vielleicht ist es heute sogar wichtiger als jemals zuvor. Dafür brauchen wir eine Politik der Offenheit, die Fortschritt befördert, statt Neuem und Unkonventionellem grundsätzlich skeptisch gegenüberzustehen.
Dass Technik und Umwelt keine Gegensätze, sondern zwei Seiten der gleichen Medaille sind, ist im Alltag der Menschen schon viel stärker angekommen als in weiten Teilen der deutschen Umweltpolitik. Jeder Bergsteiger hat heute sein Smartphone zur Hand, um auf Karten oder aktuelle Wetterinformationen zuzugreifen und im Ernstfall auch Notrufe absetzen zu können. Das Naturerlebnis wird durch die moderne Technik somit nicht nur komfortabler, sondern auch sicherer.
Technische Errungenschaften ermöglichen es heute jedem, sich umweltbewusster zu verhalten als noch vor 15 Jahren. Was spräche denn dagegen, bei der nächsten Gartenparty das Burgerpatty oder die Wurst auf dem Grill aus In-vitro-Fleisch zu brutzeln? Damit wäre Fleischgenuss möglich, ohne auf Umwelt-, Klima- und Tierschutz verzichten zu müssen.
Eine verantwortungsvolle, liberale Klimapolitik muss ambitionierte Ziele setzen. Wir wollen die Netto-Emissionen in Europa bis 2050 auf null reduzieren. Das geht nur mit einer Politik, die bereit ist, alte Denkmuster zu überwinden. Die auf Marktwirtschaft und Innovation setzt und gleichzeitig die Menschen mitnimmt, um mit ihnen gemeinsam an einer besseren Zukunft für jeden Einzelnen zu arbeiten.
(Der Beitrag von Lukas Köhler und Marie Agnes Strack-Zimmermann erschien am 28. April 2019 in der Welt. Beiträge politischer Parteien geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder.)